Buchbesprechung: Becoming von Michelle Obama

Freundschaft als Lektüreschlüssel

Janine und ich haben zusammen „Becoming. Meine Geschichte“ von Michelle Obama gelesen. Die Autobiografie ist ein internationaler Bestseller. 2018 wurde das Buch im „Oprah’s Book Club“ vorgestellt und damals musste ich es schon unbedingt lesen. Zwei Jahre später ist die deutsche Ausgabe erschienen. Zur Buchtour gibt es eine Dokumentation bei Netflix und 2021 kam sogar eine Jugendbuch-Ausgabe raus. Nun haben Janine und ich uns gemeinsam an die 544-seitige Lektüre gewagt.

Wir haben die scharfsinnigen und positiven Worte von Michelle Obama in uns aufgesogen und waren von ihrer Stärke, Intelligenz, Freundlichkeit und ihrem bodenständigen Pragmatismus beeindruckt. Sie beschreibt ein Leben, das sich zwar sehr von unserer Situation unterscheidet und dennoch erzählt sie etwas Allgemeingültiges über Hoffnung, Liebe und Verlust. Es geht darum den eigenen Platz im Leben zu finden, den Wunsch authentisch zu leben und einfach man selbst zu werden. Das berührt.

Wer liest?

Das Buchgespräch mit Janine ist schon ein Weilchen her. Um darüber zu schreiben, musste ich über das Gespräch länger nachdenken. Es war mir wichtig, dieses Buch ausgerechnet mit ihr zu lesen. Das liegt an unserer langen Freundschaft.

Wir haben schon viele Stationen unseres Lebens geteilt. Das hat mir gerade die gemeinsame Lektüre von „Becoming“ so wertvoll gemacht. Denn Michelle Obama ermutigt Frauen ihren Weg zu gehen und sich gegenseitig zu unterstützen. Wir haben uns gefragt, was uns prägte, wo wir momentan stehen und wie es weitergeht. Dabei hat uns das Buch geholfen ins Gespräch zu kommen.


Autobiografie vs. Memoiren?

Wiebke: Wie hat dir das Buch gefallen?

Janine: Ich bin bei Biografien normalerweise skeptisch. Die meisten Autobiografien, die ich bisher kenne, lesen sich eher zäh, wegen der chronologischen Aneinanderreihung von Fakten und der Schönfärberei. Hier war es ganz anders. Es ist unterhaltsam und es liest sich als würde die Autorin einfach erzählen. Manchmal gab es kurze Wiederholungen, die Bezüge herstellten, um Zusammenhänge verständlich zu machen. Ich habe es sehr gerne gelesen.

Ich bin bei Biografien normalerweise skeptisch.

Janine

Wiebke: Durch ihre persönlichen Geschichten schildert Michelle Obama zeitgeschichtliche und gesellschaftliche Entwicklungen und gibt ihnen dadurch ein Gesicht. Sie stellt Begegnungen immer wieder in einen größeren Kontext.

Janine: Richtig, es gibt viele Themen, die indirekt mitschwingen. Daher musste ich regelmäßig Pausen machen, um Abstand zum Text zu gewinnen und zu realisieren, was sie neben der eigentlichen Geschichte noch auf einer anderen Ebene sagen möchte.

Wiebke: Du hast eben deine Vorbehalte gegenüber Autobiografien erwähnt. Auf dem deutschen Buchmarkt sind eher die Genres Biografie und Autobiografie üblich. Auf dem US-amerikanischen Markt ist wohl auch die Gattung „Memoir“ verbreitet. Dazu zählt dieses Buch. Memoiren zeichnen sich durch den erzählenden Stil aus und werden von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geschrieben. Die Erzählung wird durch die soziale Rolle der Schreibenden geprägt. Die persönliche Geschichte ist also ein Instrument.

So ist es auch hier. Michelle Obama wählt nur Geschichten, die ihre Botschaft transportieren. Es beginnt mit ihrer Sozialisierung in der Kindheit. Ich hatte immer den Eindruck, dass die Intension des Buches an jeder Stelle durchkommt.

Darum geht’s in Kürze

Wiebke: Normalerweise beginne ich das Gespräch damit, dass jede die Geschichte einmal in fünf Sätzen zusammenfasst, um zu klären, welche Themen uns persönlich beschäftigen. Eine knappe Zusammenfassung fällt mir hier schwer. Wie würdest du das Buch beschreiben? Hast du da eine Idee?

Janine: Für mich hat sich eine Botschaft durch das ganze Buch gezogen: „Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, dann kannst du es auch erreichen.“

Wiebke: Also ihre Version des American Dream? Das gefällt mir. Ich finde den Titel hilfreich, um sich der Erzählung zu nähern. Der englische Titel „Becoming“ wurde ebenfalls für die deutsche Ausgabe gewählt. Die Bedeutung lässt sich in der Tat schlecht übersetzen. Das Buch hat drei Teile. Es ist quasi als Klimax aufgebaut: 1. Teil: „Becoming me“ – Ich werden. 2. Teil: „Becoming us“ – Wir werden. 3. Teil „Becoming more“ – Mehr werden. Das ist schon selbsterklärend.

Janine: Im ersten Teil geht es um ihren Werdegang bis zu dem Zeitpunkt, als sie in einer Top-Kanzlei als Anwältin arbeitet und sich zufällig um den begabten Uni-Praktikanten Barack Obama kümmert. Sie verlieben sich. Dann entwickelt sich die Geschichte von den beiden zusammen weiter.

Wiebke: Der zweite Teil „Becoming us“ beginnt, nachdem sie entschieden haben, dass sie gemeinsam ihren Weg gehen werden. Dann folgt „Becoming More“. Darin wird sie First Lady und für die Nation eine Ikone. Klingt wie ein Märchen, wenn wir das so zusammenfassen.

Janine: In dem Teil beschreibt sie, wie sie plötzlich im Rampenlicht steht, obwohl sie das eigentlich nie wollte. Sie wollte zwar schon immer viel bewegen, aber sie hat es immer vermieden in der Öffentlichkeit zu stehen. Das war mir sehr sympathisch, weil sie weiterhin ihre eigenen Projekte verfolgte, obwohl sich ihr ganzes Leben änderte.

Das war mir sehr symphatisch, weil sie weiterhin ihre eigenen Projekte verfolgte, obwohl sich ihr ganzes Leben änderte.

Janine

Wiebke: Sie erklärt zuvor schon, wie sie herausfand, was ihr wichtig ist und wie es ihr und ihrem Mann gelingt sowohl allein als auch als Paar ein authentisches Leben zu führen. Im Wahlkampf und als First Lady ist sie ihren Werten treu geblieben. Sie steht weiter für ihre Themen ein und lässt sich nicht vom äußeren Druck vereinnahmen. Das ist richtig stark.

Janine: Das finde ich beeindruckend. Ich nehme ihr das in dem Buch auch voll und ganz ab.

Wiebke: Sie hat eine hohe Glaubwürdigkeit. Bei der Lektüre von Biografien kommen mir oft Gedanken, ob die Tatsachen an einigen Stellen zurechtgerückt sind. Das wird hier zwar auch der Fall sein, schließlich erzählen wir uns alle selbst unsere eigenen Lebensgeschichten entsprechend unseren persönlichen Perspektiven. Doch in diesem Buch gab es für mich keine logischen Lücken, mir kamen als Leserin keine Zweifel, daher wirkt die Erzählung sehr ehrlich auf mich.

Beste Stellen

Wiebke: Welche Passagen sind dir im Kopf geblieben?

Besonders die Geschichte mit ihrer strengen Tante, bei der sie Klavierunterricht hatte, hat mich berührt. Diese Situation hat die Vorgeschichte der beiden, in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Janine

Janine: Mir hat gefallen, wie sie von ihrer Kindheit erzählt. Ihre Verwandten, mit denen sie aufwuchs, haben sie und ihren Bruder immer gefördert. Besonders die Geschichte mit ihrer strengen Tante, bei der sie Klavierunterricht hatte, hat mich berührt. Diese Situation hat die Vorgeschichte der beiden, in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Das kleine Mädchen hatte bei einem Klavier-Auftritt  einen Aussetzer, denn sie fand auf dem Flügel die Tasten für die Ausgangsposition nicht. Ihre Tante stand einfach auf und half ihr. Sie gab ihr Orientierung, da sie wusste, was ihre Nichte in dem Augenblick brauchte und sie machte daraus kein Aufhebens. Ihre Hilfe war selbstverständlich. Dadurch standen nicht nur Strenge, Ernst und Disziplin im Vordergrund, auf die ihre Tante viel Wert legte, sondern es zeigte sich auch die herzliche Art der Tante.

Mir ist auch die Geschichte im Kopf geblieben, als ihre Eltern überlegten ein Haus zu kaufen. Sie fuhren mit dem Auto durch die Nachbarschaft und schauten Häuser an. Der Vater erklärte den Kindern, dass man sich für ein Haus nicht verschuldet. Das zeigt, wie bodenständig sie erzogen wurde.

Wiebke: Vor allem haben die Eltern alles in ihre Kinder investiert. Ihr ganzes Vermögen ist in die Ausbildung der beiden Kinder geflossen. Ihr Vater ist trotz schwerem Verlauf seiner MS-Erkrankung arbeiten gegangen und ihre Mutter war auch berufstätig. Sie wohnten immer in der kleinen Wohnung, um alles für die Zukunft der Kinder zu sparen.

Ich fand es beeindruckend, wie sie immer aus wenig das meiste herausholten.

Janine

Janine: Sie hatten nur drei kleine Zimmer. Mit einer Trennwand haben sie ein eigenes Zimmer für jedes Kind geschaffen. Ich fand es beeindruckend, wie sie immer aus wenig das meiste herausholten. Das Buch ist voll mit solchen Geschichten.

Wiebke: Ihre Eltern haben ihnen vieles auch indirekt mitgegeben. Die Mutter war z.B. immer an den wichtigen Stellen im Hintergrund unterstützend da, aber Michelle hat es oft gar nicht bemerkt.  Sie hat ihren Kindern die Freiheit gelassen, ihre eigenen Fehler zu machen und eine Situation alleine zu meistern, um dabei zu lernen für sich selbst einzustehen. Das fand ich sehr stark und klug. Die Eltern waren so weitsichtig.  Das muss man als Elternteil erst einmal schaffen. Schließlich waren sie selbst sehr jung.

Kindern die emotionale Stabilität in einem Elternhaus mitzugeben, in dem der Vater schwer krank ist – das stelle ich mir nicht leicht vor, aber das ist ihnen gut gelungen. Michelle Obama beschreibt, dass die Krankheit sie und ihren Bruder schon beeinflusst hat. So war beispielsweise eine gute Organisation des Alltags sehr wichtig. Es gab viele Rituale und Ausflüge mussten genau geplant werden.

Die Kinder haben früh ein großes Verantwortungsgefühl entwickelt. Das hat sie nicht unberührt gelassen. Ihrem Bruder war es eine Zeit lang wichtig einzuüben, wie er notfalls seinen Vater aus einem brennenden Haus retten könnte. Um zu starken Persönlichkeiten zu werden, bedarf es wohl einer liebevollen Familie und einer klugen Erziehung und das ist gelungen. Beide sind heute sehr erfolgreich.

Janine: Michelle war zuerst Anwältin und hatte damit einen Beruf mit hohem Status gewählt. Dann realisierte sie jedoch, dass es sie nicht erfüllte. Schließlich hat sie sich dafür entschieden, soziale Projekte zu betreuen, obwohl sie damit weniger Geld verdiente.

Wiebke: Ihr gelingt es in dem ganzen Buch die Leser:innen auf dieser Entwicklung Schritt für Schritt mitzunehmen. Sie traute sich den tradierten Weg zu verlassen und neue Chancen zu erkennen und zu ergreifen. Mich hat beeindruckt, wie sie sich diese Entscheidung erarbeitet und nach dem richtigen Job geforscht hat. Sie hat Menschen in interessanten Positionen getroffen und sich Vorbilder gesucht. Sie hat sich ihre Geschichten angehört und nach Erfahrungen gefragt, um herauszufinden, wie andere ihren Weg gefunden haben. Es gibt so viele fantastische Frauen in diesem Buch. Das ist großartig.

Egal, welchen Job sie gerade hatte, sie hat immer eine Frau gefunden, an der sie sich orientieren konnte. Das waren richtig toughe Persönlichkeiten.

Janine

Janine: Egal, welchen Job sie gerade hatte, sie hat immer eine Frau gefunden, an der sie sich orientieren konnte. Das waren richtig toughe Persönlichkeiten. Ihre Kolleginnen gaben im Job alles, aber wenn ihre Kinder sie brauchten, waren sie dort zur Stelle. Sitzungen fanden dann ohne sie statt. Sie waren da sehr konsequent.

Wiebke: Hast du mal eine Mentorin gehabt?

Janine: Mentorin ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber ich habe eine Freundin, die so mutig war, noch mal komplett von vorne zu beginnen. Auch wenn die Perspektive schlecht ist, sie holt immer das beste raus. Das finde ich sehr motivierend. Ich versuche mir das von ihr abzuschauen und frage sie manchmal um Rat.

Wiebke: Sicherlich bin ich vielen Frauen begegnet, die ich mir für bestimmte Aspekte zum Vorbild genommen habe. Aber eine Mentorin im Job hatte ich noch nicht. Das Konzept dahinter finde ich aber sehr spannend. So jemanden würde ich gerne einmal finden. Würdest du es eigentlich als feministisches Buch bezeichnen?

Janine: Da die Förderung von Mädchen und Frauen, eines der Herzens-Projekte von Michelle Obama ist, würde ich es auf jeden Fall als Frauen bestärkend beschreiben. Aber es entspricht nicht unserem Klischee von Feminismus, das wir noch aus den 1980er Jahren haben.

Wiebke: Hast du noch eine Lieblingsstelle im Buch?

Janine: Die Geschichte vom Heiratsantrag! Er hält sie beim Dinner hin und dann bekommt sie doch noch auf Umwegen den Ring.

Wiebke: Das ist eine sehr lustige Anekdote. Er will eigentlich gar nicht heiraten und sie unbedingt. Das Thema Ehe ist bei ihnen ein kontroverses Thema und das muss zwischen den beiden Anwält:innen erst einmal ausgiebig verhandelt werden. Als ich die Geschichte las, musste ich so lachen. Ansonsten ist der Antrag wie in einem Film: Candlelight-Dinner und der Ring kommt dann als Dessert. Aber die Vorbereitung war schon grandios!

Janine: Ja, genau. Als ich das las, dachte ich: „Oh man wie gemein ist das denn?“ Er hat sie noch mal so richtig aufs Glatteis geführt. [lacht]

Wiebke: Auf jeden Fall haben die beiden Humor. Das war auch eine meiner Lieblingsstellen.

Wer sollte das Buch lesen?

Wiebke: Würdest du das Buch weiterempfehlen?

Janine: Ich würde es allen ans Herz legen, die Interesse an Biografien haben. Der Erzählstil ist klasse. Es ist schlüssig, authentisch und motivierend geschrieben.

Wiebke: Wenn man es Teenagern schenken möchte, gibt es jetzt auch eine Jugendbuch-Ausgabe. So kann die Botschaft schon in die jüngere Generation getragen werden. Und die Erwachsenen können es mit ihren Kindern lesen und darüber sprechen.  


Infos zum Buch

Ich habe diese Ausgabe gelesen:

  • Autorin: Michelle Obama
  • Titel: Becoming. Meine Geschichte
  • Erste deutsche Auflage: 2018
  • Verlag: Goldmann
  • 455 Seiten
  • Hardcover: 26 Euro
  • ISBN: 978-3-442-31487-4

Infos zur Jugendbuch-Ausgabe:

  • Autorin: Michelle Obama
  • Becoming. Erzählt für die nächste Generation
  • Erste deutsche Auflage: 2021
  • Verlag: cbj
  • 608 Seiten
  • Hardcover: 20 Euro
  • ISBN: 978-3-570-16630-7
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4 Kommentare

  1. In der Buchbesprechung hört man die lange Freundschaft zu Janine heraus.
    Das Gespräch ist toll!
    Ich finde, dass der Inhalt sehr authentisch ist, weil sich die Gesprächspartnerinnen viele Gedanken zu Michelle Obama und ihrer Biografie gemacht haben.
    Ich wünsche dir für deinen Buchblog, dass viele, ganz viele Frauen deine Beiträge lesen.
    Dieser Blog bewegt Frauen nicht nur zu lesen, sondern damit etwas zu bewegen!!!
    Es gibt so viele tolle Frauen!
    Wir Frauen können auch sein wie Michelle Obama!

  2. Liebe Wiebke,

    ein schönes Buchgespräch. Becoming steht zwar schon auf meiner Zu-Lesen Liste. Aber jetzt erst recht. Euerem Gespräch kann ich sehr viel Begeisterung entnehmen. Danke.

    Viele Grüße
    Jenny

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