Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Das war dieses Jahr ein guter Grund zur Feier des Tages dieses Buch zu lesen: „Frauenliteratur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“ von Nicole Seifert. Ein kluges und feministisches Buch. Ich empfehle es allen Menschen, die gerne lesen. Es ist Augen öffnend!
Das Sachbuch der promovierten Literaturwissenschaftlerin und Bloggerin Nicole Seifert ist zurecht schon viel gelobt und besprochen worden. Die literarische Übersetzerin und ehemalige Lektorin analysiert jeden Winkel des Literaturbetriebs. Das macht große Freude.
Was soll Frauenliteratur eigentlich sein? Literatur von Frauen? Literatur für Frauen? Literatur von Frauen für Frauen? Das alles? Soll es ein Genre sein? Und ist es möglich die Vielfalt weiblicher Stimmen, Lebenswelten und Perspektiven mit einem Wort zu generalisieren? Selbstverständlich nicht!
Nicole Seifert entlarvt in ihrem Sachbuch misogyne Haltungen und Strukturen im Literaturbetrieb und zeigt, dass sich das System erst entwickelt, wenn sich an vielen Teilen des Ganzen etwas ändert und alles in Bewegung kommt. Von den Verlagsprogrammen über die Literaturkritik, Preisverleihungen und Literatur-Förderung genauso wie der Einkauf im Buchhandel bis zur Lektürewahl der Leser:innen – hier gilt es überall Gleichberechtigung zu leben. Seifert zeigt auf, dass dies leider noch nicht der Fall ist. Wir haben noch einiges vor uns.
Zu Beginn führt die Autorin mit ihrer persönlichen Geschichte als Leserin ein, die wie für die Aufgabe der Kanon-Revision geschaffen ist. Sie erzählt, wie sich ihr eigenes Leseverhalten langsam änderte. Vom Vater übernahm sie die Gewohnheit eine Lektüreliste zu führen. Um Klassiker von Männern zu lesen, konnte sie sich jederzeit am Bücherregal ihres Vaters bedienen. Um aber auch weibliche Stimmen zu lesen, musste sie sich die Bücher von Autorinnen selbst kaufen. Denn im Regal des Vaters dominierte die männliche Perspektive auf die Welt. Als sie nach ihrem Literatur-Studium ihr eigenes Leseverhalten reflektierte, fiel ihr auf, dass ebenfalls unverhältnismäßig wenig Autor:innen auf den Lektürelisten der Seminare standen. Das brachte alles ins Rollen. Seitdem engagiert sie sich für einen diversen Literaturbetrieb, so lancierte den Hashtag #frauenzählen, publiziert zum Thema, führt das Blog nachtundtag.blog, für das sie Bücher von Frauen bespricht.
Viele Fragen, kompetente Antworten
Warum ist der Kanon bis heute männlich dominiert? Wie kann er weiterentwickelt werden? Wie drückt sich bis heute Misogynie in der Literaturkritik aus? Warum werden bis heute mehr Bücher von Autoren verkauft? Wie kann der Literaturbetrieb diverser werden? Welche strukturellen Bedingungen müssen sich ändern, um Autor:innen in der Literatur mehr Sichtbarkeit zu ermöglichen? Welche Themen und Motive greifen Frauen in ihren Werken auf? Wo kann ich als Leser:in anfangen? Welche Autor:innen sollte ich lesen?
Neugierig geworden? Seifert wirft viele Fragen auf und beantwortet sie in ihrem Sachbuch versiert. Ihre Analyse liest sich eingängig und ist bei aller Professionalität auch für Nicht-Germanist:innen eine unterhaltsame Lektüre. Das Buch hat mich inspiriert als Leserin all die Lektüren und Perspektiven nachzuholen. Schön, dass ein vermeintlich literaturwissenschaftliches Thema ein breites Publikum gefunden hat. Das braucht es, um etwas zu verändern.
Danke an den KiWi-Verlag und netgalley.de für das digitale Rezensions-Exemplar. Das Buch werde ich mir für mein Bücherregal kaufen, um darin nachzuschlagen, es weiterzuempfehlen und vor allem es häufig zu verleihen.
Infos zum Buch
- Titel: Frauenliteratur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt
- Autorin: Nicole Seifert
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- Erscheinungsjahr: 2021
- 224 Seiten
- Gebundene Ausgabe: 28 Euro
- ISBN: 978-3-462-00236-2
Nicole Seifert war beim Podcast „Hentschel liest“ zu Gast. Dieses Interview kann ich sehr empfehlen. Hört mal in Folge 19 rein.